Der wesentliche Bestand der Erscheinungen

Christine Frisinghelli, E. P. zugeeignet

 

Hartmut Skerbischs künstlerisches Projekt scheint als Arbeit im Raum zwischen konzeptueller und perzeptueller Kunst in Erscheinung zu treten: konzeptuelle Klarheit in der Darstellung eines Sachverhalts und in der Anordnung der materiellen Grundlagen des darauf bezogenen Denkens auf der einen Seite – das Schaffen eines physischen Zusammenhangs zwischen Materialien in gegebenen Raumsituationen, eine Konstellation damit auch „spürbar“ [1] machend, auf der anderen. Das Auswählen, Freistellen und Anordnen von Dingen und Materialien, die Inszenierung ihrer tatsächlichen physischen Anwesenheit, realisiert er in komplexen Raumkonstellationen, die gleichzeitig auf nichts anderes als die Situation selbst verweisen (Es ist, Jetzt-Räume, Jetzt-Generator, Gegenwart als Gegenwart … ) und so Ausgangspunkt des Denkens und möglicher Erfahrung durch den Rezipienten werden. Der Identifikations- und Erfahrungsraum des Betrachters wird als eigentlicher Ort der Arbeit definiert, Skerbischs Werke erfüllen so seinen Anspruch einer „dezentralen“ – weil erst in der Mitarbeit des Rezipienten sich vollziehenden – Kunst, wie es die beiden folgenden Projektbeschreibungen in diesem Katalog zeigen: „Das Stück reden blattartig setzt ein, wenn der Betrachter den Bildvorgang am Monitor auf den eigenen Atemrhythmus zu beziehen beginnt“ / „Eine Person, die die Bestandteile der Situation B wahrnimmt, befindet sich innerhalb des identischen Nachvollzugs, womit das Stück sich vollendet“. Skerbisch folgt den Grundsätzen der Konzeptkunst ( „Ideen lassen sich besser durch Zahlen, Fotografien, Wörter oder jede beliebige Art ausdrücken, die der Künstler wählt“) [2] vor allem dort, wo seine Arbeit mittels Kommunikationstechniken vorgeht: mit Schrift, Sprache oder Text; Elektrizität, Fernsehen oder Fotografie. Die Behandlung auch dieser Medien als Material, ihre Arbeit als physisches Einwirken (auf den Raum z.B.), und der Kontext, den Sprache (Schrift) für sie herzustellen imstande ist, bilden eine noch allgemeine, „offen gehaltene“ (egalitäre) Basis für Wahrnehmung und Interpretation. Skerbisch setzt in seinem Werk Medien ein (er stellt ihre Funktionsweisen und Produkte aus), die unsere Vorstellung von Welt repräsentieren und in sie eingreifen, die unseren Wunsch nach Erkenntnis (Information, d. i. auch: Ordnung, Kontrolle) illustrieren: Video und Sprache in seiner Räumlichen Anordnung (Putting Allspace in a Notshall / Putting Allspace in a Nutshell), 1969 / Fernsehen in Der Bildschirm spricht seine Sprache, 1976, in Zepter und gleißender Stein von 1977, Fernsehen und Sprache in Dem imaginären Raum sei Gestalt verliehen, 1978 / Fotografie und Sprache in n x 4 Reproduktionen, 1979, Fotografie in Szene aus dem gleichnamigen Stück, 1980 bis 1990 und in Alle haben alles gesehen, 1990 (die beiden letzteren in Zusammenarbeit mit Michael Schuster) und in Bildwiedergabe, 1994. In diesen Arbeiten sind die Medien selbst, ihre Erscheinungs- und Wirkungsweisen in ihrer materiellen Qualität wie in dem ihnen „zugrundeliegenden weltvorspiegelnden Vollzug“ [3] gemeint: Signale, Licht, Farben, Sprache, bewegliche und statische Bilder; die möglich scheinende Überwindung räumlicher Distanzen, die scheinbare Gleichzeitigkeit allen Geschehens, die Verdoppelung der Welt in wirklichkeitsanalogen Bildern. Mit der Hereinnahme der Fotografie (die in der Theorie und in der Praxis der Mimesis einen Einschnitt repräsentiert) in den Katalog der verwendeten Materialen/Medien werden deren spezifische Eigenschaften mit ausgestellt: die Offenheit ihres Zeichencharakters; die potentiell in ihr angelegte Serialität; die Indexikalität und das Archivarische; die Evokation von Wirklichkeit, aber auch die Unvollkommenheit fotografischer Aufzeichnung und ihr Mangel an Materialität; die Abhängigkeit der Bedeutung von Kontext und Kommentar. Die kulturell erlernten Erwartungen, die wir in das Medium Fotografie setzen, beweisen die Glaubwürdigkeit, den der Wirklichkeitseffekt, der „éffet du réel“ (von dem Roland Barthes im Zusammenhang mit der Fotografie spricht) dem Medium – dem wir wider besseren Wissens glauben – verleiht und dem es seine ungebrochene Überzeugungskraft verdankt. Im fotografischen Bild befindet sich der Blick des Betrachters auf einer Linie mit der Aufnahmevorrichtung des Apparates (und mit dem des Fotografen). Die Fotografie löscht, im Moment, in dem sie in Erscheinung tritt, den Prozeß ihrer Entstehung aus: Sie scheint aus sich selbst zu entstehen, und darin äußert sich auch ihre größte Überzeugungskraft, die sich mit unserem Wunsch nach Objektivität und nach einem mimetischen, „wahren“ Abbild trifft. Wenn Hartmut Skerbisch in seiner Foto/Text-Arbeit n x 4 Reproduktionen auf Cibachrome, 1979 ein Polaroid-Sofortbild reproduziert, zweimal auf Cibachrome vergrößert und die beiden identischen Bilder abwechselnd mit dem Text Das Paradies und Der Untergang kommentiert, weist seine Vorgangsweise auf einen Grad der Nivellierung von Aussagen durch Bild und Text hin, der, wie seine Jetzt-Räume, auf eine Null-Party hinausläuft, auf eine – Geschichte und Bedeutung neutralisierende – „Party für Nichts, d. h. für die Gegenwart als Gegenwart oder fürs Dasein als Dasein, weil alle unsere Geschichten, also die gesamte Vergangenheit, alle Utopien, an denen sich unser geistiges Leben als kontinuierliche Aufgabe orientiert und die ihm eine Art Tiefe verleihen, mehr und mehr als von uns abgetrennte Information verfügbar sind und dadurch zur billigen Kulisse jeder beliebigen Situation abgeflacht, uns immer weniger beeindrucken.“ [4] Hier wird die potentiell in der Fotografie angelegte Serialität (mit Sartre auch als „Pluralität von Isolationen“ zu verstehen) vom Instant-Prinzip und dem Unikatcharakter der Polaroid-Fotografie gebrochen; durch Reproduktion und Verdoppelung wird dieses Faktum wieder aufgehoben, im folgenden Schritt, durch die Montage mit einander auszuschließen scheinenden Begriffen: Das Paradies und Der Untergang, wiederum wird die Serie (als Präsenz zweier identischer Bilder) aufgelöst und das einzelne Bild durch den Text in seiner (einer konkret wirkenden) Bedeutung definiert. Die Ästhetik der Reproduktion in der Verdoppelung von Bildern und Begriffen, die Unmöglichkeit von Aussage und Identifikation, die Tautologie, als eine dem Medium Fotografie zugrunde liegende Qualität, bilden die Struktur dieser Arbeit.

Die Gemeinschaftsarbeit Szene aus dem gleichnamigen Stück, 1980 -1990, von Michael Schuster und Hartmut Skerbisch bringt wiederum den Begriff der „Dezentralisierung“ ins Spiel (das Gesamte des Werkes konstituiere sich demnach erst in der Rezeption, in der Zusammenfügung der einzelnen Elemente durch den Betrachter). Hier wurde von den beiden Künstlern ein „Zustand“ evoziert, in dem wir bereits leben könnten: der Zustand Alle haben Alles gesehen. Als work in progress „in Szene gesetzt“ nimmt diese Arbeit ihren Anfang mit der Fotografie der Eingangssituation eines Theaters, an dem ein Titeltransparent die Aufführung des Stückes „Szene aus dem gleichnamigen Stück“ ankündigt. „Ausgangspunkt ist FOTOGRAFIE – Fotografie als eigengesetzliche Bildherstellungsmaschinerie, die uns ihre Prinzipien aufdrängt – und nicht Fotografie als optische Illustration außerfotografischer Sachverhalte. Und in Zusammenhang damit die Maßnahme, alle in dieser Arbeit vorkommenden Szenen, real arrangierte wie fotografisch wiedergegebene, durchgehend mit ‚Szene aus dem gleichnamigen Stück‘ zu bezeichnen.“ [5] Mit dem Titel Szene aus dem gleichnamigen Stück wurde eine Situation bezeichnet, die für einzelne, auch zukünftige und sehr unterschiedliche Stadien und Inszenierungen der Arbeit einen Kontext schaffen konnte (und das waren, z. B.: eine Edition von Postkarten; die Inszenierung einer Ausstellung im Forum Stadtpark als „Szene“, in der das „Postkartengesteck“ wiederum als Objekt ausgestellt ist; Fotografien der Situation „Ausstellungseröffnung“, die wiederum als „Szenen“ in das Werk aufgenommen werden; Vortrag/ Projektion am „Symposion über Fotografie IV“; Publikation in der Zeitschrift „Camera Austria“ – oder auch einzelnen Bild-Objekten (wie dem Kameraobjekt Hasselblad mit vier Objektiven, montiert aus Originalteilen, reproduziert und, ergänzt durch die Aussage „Alle haben alles gesehen.“, als Siebdruckedition produziert). Die kontextuelle Klammer basierte auf dem Faktum, daß „allen Situationen zugrundeliegt, was Fotografie realisiert: mit jedem Bild: Hervorbringen einer Szene aus dem gleichnamigen Stück: Inszenieren eines Stückes, das Szene heißt.“

So werden die Funktionsweisen der Fotografie selbst in Szene aus dem gleichnamigen Stück zum Gegenstand der Untersuchung und sind zugleich das Werkzeug, mit dem die Untersuchung vorgeführt wird: Alle Elemente der Arbeit, alle einzelnen Szenen dieses Stückes, „das die Welt sein könnte“, sind fotografischer Natur, und sie stellen nichts anderes dar als das, was Fotografie tut und was, mit dem Eintreten der Fotografie in diese Welt, aus unseren Bildern von der Welt geworden ist: „Szene aus dem gleichnamigen Stück wie Fotografie präsentiert mit jedem Bild eine Welt des Stillstandes und damit verbunden den Eindruck, alles Wiedergegebene habe sich ereignet, um Inhalt des Bildes zu sein. Und es geschieht, daß wir auch so leben.“ [6] oder vielleicht, um Distanz zu gewinnen und damit (vielleicht auch) Betrachtung erneut zu ermöglichen: „Das foto-grafische Bild zeigt seine Szene als das perfekte Tote.“ [7]

 

 

 

[1] „JETZT-SPHÄRE – alle spüren alles“,

in: JETZT-GENERATOR,

Faltblatt, Galerie Krinzinger,

Innsbruck 1980

 

[2] Sol Le Witt, Paragraphs

on Conceptual Art.

In: Artforum 10, 1967, S. 79.

Zitiert aus: Über Kunst,

Köln 1974, S. 177.

 

[3] S. Abb. 17-19, S. 28

„Innerhalb derselben Wahrnehmungen, die ein Bewußtsein gewöhnlich überallhin führen, wird es hier hineinversetzt in den zugrundeliegenden weltvorspiegelnden Vollzug.“

 

[4] H. Skerbisch, Null-Party in der Jetzt-Dub-Disco,

Informationsblatt, Galerie H., Graz 1981 und

Putting Allspace in a Notshall,

Verlag Droschl: Graz, 1981

 

[5] Michael Schuster, Hartmut Skerbisch,

Szene aus dem gleichnamigen Stück, Dokumentation,

CAMERA AUSTRIA Nr. 5,

Forum Stadtpark, Graz 1981, S. 12

 

[6] Michael Schuster, Hartmut Skerbisch, Alle haben alles gesehen,

CAMERA AUSTRIA Nr. 11/12,

Forum Stadtpark, Graz 1983, S. 88

 

[7] Abb. 35, Bildwiedergabe, 1994, S. 58, 59

 

Title: Der wesentliche Bestand der Erscheinungen