„Welche Wahrheit bereitet mit dem Wirklichen zu konvergieren innerlich sich vor?“

Gespräch am 14.7.1994,

Heike Maier, Hartmut Skerbisch

 

H.M. „Räumliche Anordnung“, das Motiv des Vorsatzpapiers im Katalog, ist eine Arbeit, die während deines Architekturstudiums entstanden ist. Trotzdem kann sie kaum mit Architektur schlechthin in Verbindung gebracht werden. Vielmehr könnte sie als ein frühes Beispiel der österreichischen Medienkunst gesehen werden. War diese Arbeit so etwas wie eine Initialzündung für dein weiteres Schaffen?

 

H.S. Die Arbeit hatte den Wettbewerb „Architektur und Freiheit“ zum Ausgangspunkt, die Ergebnisse des Wettbewerbs sollten in der Ausstellung trigon ’69 präsentiert werden. Das Wettbewerbsthema war für mich eine Herausforderung, denn grundsätzlich war dabei ja die Frage unseres Verhältnisses zur gegenständlichen Welt angesprochen. Wie beeinflussen uns Objekte, wie die Umgebung? Können wir in irgendeiner Weise die physischen Gegebenheiten und Bedingungen übersteigen? Und es war zu erwarten, daß die Architekten bei diesem Thema alle Register ziehen werden, denn sie haben stets für alles, auch für unlösbare Aufgaben, immer eine Lösung. Es war gerade Timothy Leary-Hippie-LSD-Zeit, Hans Hallein hat da zum Beispiel Pillen für oder gegen Architektur angeboten. Also, daß die immer gleichen Grundtatsachen der Architektur durch Propagandatexte und -projekte, die wahre Wunder versprechen, sogar Freiheit durch Architektur, verschleiert oder weggekünstelt werden, das störte mich. Aber ich war fasziniert von den neuen Raumverhältnissen infolge der elektronischen Medien. Diese Raumverhältnisse, diese neue unsichtbare Architektur wollte ich wahrnehmbar machen. Die Arbeit ist im Rahmen des Wettbewerbs nicht verstanden worden, und deshalb war sie dann tatsächlich eine Initialzündung, ein Stachel, um weiter daran zu arbeiten, die unsichtbare elektronisch errichtete Architektur, und die Konsequenzen aus ihrer Installierung, in irgendeiner Weise auszudrücken. Obwohl die „Räumliche Anordnung“ nie realisiert worden ist, erscheint sie mir heute immer noch aktuell und findet deshalb hier Verwendung als optische Klammer für den Inhalt des Katalogs.

 

H.M. Wenn man die Abschnitte dieser Werkauswahl miteinander vergleicht, so fällt deutlich ein Wandel in der Struktur deiner Arbeit auf. Gibt es einen speziellen Anlaß für die Abkehr von Medienkunst?

 

H.S. Der Bildschirm war das Schlüsselinstrument für eine Annäherung an die elektronischen Raumverhältnisse, und so führte mich das ursprünglich alleinige Interesse an Raumkonzepten mehr und mehr zu Reflexionen über den Bildschirm, besser gesagt über die zugrundeliegende elektronische Bildkonstruktion samt allen Apparaturen, in Hinblick auf einen adäquaten Bildinhalt. „Endsignatur“ war das konsequente Ergebnis dieser Auseinandersetzung. Von hier führte im Medium selbst kein Weg mehr weiter.

 

H.M. Wie kam es fast gleichzeitig zur Verwendung von Fotografie?

 

H.S. Die Arbeiten des Abschnittes 1 waren oft nur sehr kurzfristig existierende Situationen und ich habe sie fotografisch festgehalten. Daß diese Arbeiten, ihrer eigentlichen Wirkung beraubt, nur als fotografische Bilder weiterexistierten, empfand ich als Mangel: es sollte nicht eine Arbeit geben und eine Fotografie davon, sondern die Arbeit sollte gleich selbst Fotografie sein. Während eines speziellen Dunkelkammerjobs, den mir Michael Schuster angeboten hatte, gab es äußerst lange Belichtungszeiten, das hieß für uns extrem lange Wartezeiten im Finsteren, und das war eine gute Gelegenheit, daß wir über Ideen, die jeder von uns verwirklichen wollte, ausführlich sprechen konnten. Daraus entstand „Szene aus dem gleichnamigen Stück“ und überhaupt eine vielseitige Zusammenarbeit. „Szene aus dem gleichnamigen Stück“ halte ich für ein gutes Beispiel einer Arbeit, bei der Bildinhalt und Medium weitgehend identisch sind.

 

H.M. Die Arbeiten des Abschnittes 3 existieren aber erst wieder als Fotografien, und der Bildinhalt läßt sich dabei nicht aus dem Medium Fotografie ableiten?

 

H.S. Diesen Widerspruch muß ich in Kauf nehmen. Es stand teilweise die Absicht dahinter, Situationen zu bauen, die nur als Fotografien existieren sollten. Diese Situationen hatten aber selbst schon etwas Augenblickhaftes an sich, waren sozusagen ohne Kamera festgehaltene Augenblicke. Eine dieser Situationen machte mir klar, daß Volumen an sich schon eine starke Aussage sein kann.

 

H.M. Für die Ausstellung „Vom Kriege“ hast du einfache, auf die Grundform reduzierte Häuser in den Raum gestellt. Nun verbindet man gerade Krieg und Flucht miteinander, die Aufgabe von Besitztümern. Ein Haus wirkt in diesem Kontext als Irritation oder Provokation. Warum wähltest du gerade das Motiv für diese Thematik?

 

H.S. In erster Linie wollte ich „Präsenz von Etwas“, und möglichst nur Präsenz allein, ohne formales Vokabular, das irgendeinen Aufschluß geben könnte, im Ausstellungsraum erzeugen. Diese pure Anwesenheit in einem Raum wäre der Krieg, weil er nur da ist, ohne daß man ihn kennen kann. Und die Möglichkeit ästhetischen Abwägens müßte dabei ausgeschlossen sein. Das hat zur Hausform geführt, und zu konstruktiven Maßnahmen, daß möglichst keinerlei äußere Anhaltspunkte da sind, die einen Betrachter von der bloßen Präsenz dieses Dings ablenken und auf sekundäre Gedanken über seine Präsenz bringen könnten. Alle zwangsläufig dennoch aufkommenden Gedanken sollten auf mehreren Ebenen immer wieder nur elementare Präsenz antreffen.

 

H.M. Bei „Zwei Bühnen“ könnte die menschliche Perzeption thematisiert sein. Dem Sehvorgang steht etwas gegenüber, das wieder etwas wie Sehen ist. Wenn Joyce von der „unentrinnbaren Modalität des Sichtbaren“ spricht, wirft er damit nicht auch Fragen nach der Grenze der Wahrnehmung auf?

 

H.S. Texte von Joyce lassen den Eindruck entstehen, daß er bereits von jenseits der allgemeinen Wahrnehmungsgrenze antwortet und die Grenze der Wahrnehmung von beiden Seiten kennt. Auch eine Textstelle von Kathy Acker aus „Blood and Guts in High School“ gehört hierher: „Wenn wir erst einmal einen Blick in die Welt der Erscheinungen geworfen haben (man beachte hier die Verschleierungen der herkömmlichen Sprache: WIR, als seien irgendwelche Jemande der Mittelpunkt des Geschehens, SEHEN, was im Mittelpunkt des Geschehens steht: die reine ERSCHEINUNG. In Wirklichkeit erschafft die Erscheinung uns. Ist irgend etwas wirklich?) Wenn wir erst einmal einen Blick in die Welt der Erscheinungen geworfen haben, müssen wir uns davor hüten zu glauben, die Welt der Erscheinungen seien wir. Wir müssen weiter gehen und wahnsinniger werden.“ Ein wesentlicher Zusammenhang von Sehen und Skulptur ist mit den Augenhöhlen des Schädelskeletts gegeben, also der Sphäre der flüchtigen Erscheinungen und den beiden Bühnen, die als materielle Verfestigung letztlich davon übrigbleiben. Dieses Thema, finde ich, hat gut in die von der Stimmung der Jahrhundertwende besetzte Atmosphäre der Wiener Secession gepaßt.

 

H.M. In deiner Arbeit und im Gespräch beziehst du dich oftmals auf literarische Texte. Hier im Katalog auf Robert Musil, Marquis de Sade, Franz Kafka, oder wie bereits angesprochen auf James Joyce. Im Folder für die Ausstellung der „Scheibe“ im Grazer Künstlerhaus stand der Fragesatz von Walter Benjamin: „Welche Wahrheit bereitet mit dem Wirklichen zu konvergieren innerlich sich vor?“ an zentraler Stelle. Sind literarische Texte ein Ausgangspunkt für dich? Soll man deine Arbeit als Kommentar oder bildnerische Umsetzung sehen?

 

H.S. Texte, ganz allgemein, sind für mich die vielleicht wichtigste Orientierung. Manchmal wird dann ein spezieller Text zum Ausgangspunkt einer Arbeit. Mit einer Auffassung meiner Arbeit als Kommentar bin ich einverstanden. Denn, wenn ich einen fremden Text verwende, soll die Arbeit für den Text etwas tun, weil der Text etwas für die Arbeit getan hat. Mich fasziniert die Tatsache, daß starke Literatur ähnlich wie Skulptur zu unserem Körper und zur Raumerfassung eine intensive Beziehung hat. Aus meiner Sicht ist die Intensität dieser Beziehung ein Qualitätskriterium für einen Text. Bei bestimmten Autoren kann man ganz sicher sein, daß, wenn ein Satz auf den ersten Blick auch noch so schwer erfaßbar erscheint, und man ihn dann schließlich doch rhythmisch-körperlich strukturieren kann, er eine wichtige Erfahrung vermittelt. Dieses Strukturieren hat sehr viel mit Skulptur, der Wahrnehmung von Skulptur zu tun, und deshalb finde ich den von dir angesprochenen Satz von Walter Benjamin so spannend. Sobald man ihn strukturieren kann – das heißt, daß er das lesende Ich strukturiert hat – ist klar, was soeben und immer geschieht.