Sphäre 315

Hartmut Skerbischs Werkbegriff ist ein vielschichtiger und gleichzeitig substanzieller. Wissend um die Gleichwertigkeit aller Medien seit den 1920er Jahren, in denen neben Malerei, Bildhauerei, Fotografie und Avantgardefilm der Bereich der Medienkunst eröffnet wurde, und der Gleichwertigkeit von Konzepterstellung und ausgeführter Arbeit äußert Skerbisch sich, der zweiten Genration österreichischer konzeptueller Künstler angehörend, in unterschiedlichsten formalen Medien. Die erste Generation österreichischer Konzeptualisten, die seit den 1950er Jahren im Bewusstsein der Verbindung von Sprache und Kunst argumentierten und die Sprache „als Medium der Sozialisation“.1) (Peter Weibel: Die Wiener Gruppe im internationalen Kontext, in ders. (Hg.), Die Wiener Gruppe. The Vienna Group. A Moment of Modernity 1954 – 1960, Kat. Zur Biennakle di Venezia, Wien, New York 1997, S. 779) erkannten sind Friedrich Achleitner, H.C. Artmann, Konrad Bayer, Gerhard Rühm und Oswald Wiener als Wiener Gruppe. Die möglichst unverfälschte Wahrnehmung von Wirklichkeit strebten ab den 1960er Jahren Günter Brus, Otto Muehl, Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkogler im Bestreben der Überwindung des Illusionismus des Tafelbildes im Wiener Aktionismus an. Parallel zu den Manifesten gegen den Staat und die bestehende Gesellschaftsordnung entwickelte sich über den Undergroundfilm und das Expanded Cinema ein Sprach- und Materialbewusstsein, das sich bei Kurt Krenn, Ernst Schmidt Jr., VALIE EXPORT und Peter Weibel im Zerstören narrativer Strukturen äußert. Die österreichische Position, innerhalb derer sich aus der analytischen Tradition, von der Psychoanalyse eines Sigmund Freud bis zur Sprachanalyse der Wiener Gruppe neue Diskurse eröffneten, stellten eine entsprechende Basis für das Auftauchen neuer Medien dar. So leisteten seit den späten 1950er Jahren KünstlerInnen, wie Marc Adrian, Alfons Schilling, Gottfried Bechtold, Heinz Gappmyr, Richard Kriesche, Friederike Petzold u.a. neben den Genannten spezifische Beiträge zur Internationalen Kunst. Bei Hartmut Skerbisch, der wie Franz West, Robert Adrian X, Ernst Caramelle, Michel Schuster oder Jörg Schlick der zweiten Generation konzeptueller Künstler angehörte, wird deutlich, dass der Skulptur- und Raumbegriff sich durch das genannte kritische Sprachbewußtsein, den neuen künstlerischen Umgang mit dem eigenen Körper, die erweiterte Medienkunst, die beinhaltete, dass die Medien der Kritik zur Kritik der Medien herangezogen wurden, eminent ändert. So beschäftigt sich Hartmut Skerbisch bereits im Rahmen seines Architekturstudiums mit den Phänomenen der elektronischen Medien, deren Auswirkungen auf unsere Raumauffassung. Durchgehend setzt er sich mit so unterschiedlichen Dichtern, Denkern und Akteuren, wie James Joyce, Walter Benjamin, dem Antroposophen Rudolf Steiner, Blixa Bargeld als Mitglied der Einstürzenden Neubauten, dem Mystiker Emanuel Swedenborg, der Punkautorin Kathy Acker, Robert Musil, Franz Kafka oder dem Reggea – Experimentator Augustus Pablo auseinander und reflektiert deren Gedanken auch in seiner Arbeit. Die Erweiterung seines Skulpturen- und Raumbegriffs äußert Skerbisch bereits in der 1969 gemeinsam mit Horst Gerhard Haberl realisierten Arbeit Putting Allspace in a Notshall, einem Zitat aus Finnegans Wake von Joyce. In diesem Satz sieht Skerbisch die Bewegung des Komprimierens angedeutet. Der Raum werde durch den Einbruch der elektrischen Welt in einem Punkt zusammengeführt, er habe die Tendenz „ständig den gesamten Raum in ein Nichtwerden hineinzupferchen“.2) (Hartmut Skerbisch in: Putting Allspace in a Notshall. Horst Gerhard Haberl als Horst Gerhard Haberl, Hartmut Skerbisch als Hartmut Skerbisch, Graz 1981) Dabei ging es ihm um die gemeinsame Substanz, in der wir uns aufhalten, um die Gleichzeitigkeit von Ereignissen, die die Vielschichtigkeit von Wirklichkeit ausmacht, um raum-zeitliche Bewegungen im All-Raum und in der Jetzt-zeit, wobei Skerbisch Konzeptualität mit körperlich-sinnlicher Wahrnehmung verbindet. So geschieht dies auch in der Arbeit Sphäre 315 aus dem Jahr 2005. Entstanden ist diese Skulptur aus Skerbischs intensiver Beschäftigung mit der Materialität der Welt, mit atomaren Strukturen, mit komplexen geometrischen Ordnungssystemen, wobei Skulptur für ihn grundsätzlich nie ein sich selbst genügendes Objekt darstellte. Die Form der Kugel hat Skerbisch erst spät als die für ihn perfekte Form gefunden, da sie in sich geschlossen und gleichzeitig offen ist. „Da kann man nichts dazu- oder wegtun. Sie ist auch am einfachsten definiert – gleicher Abstand zu einem Punkt. Und trotzdem kommt sie so in der Natur nie vor.“3) ( Hartmut Skerbisch im Interview mit Thomas Wolkinger, in: Falter 32/08, S. 4) Nicht nur seine Auseinandersetzung mit der Welt, sondern auch grundsätzliche Gedanken zu materiellen Voraussetzungen von Skulptur haben Skerbisch zur Kugelform geführt. Den Titel Sphäre wählte Skerbisch, um nicht in erster Linie die geschlossene Form der Kugel anzusprechen, sondern deren dynamischen Wirkungsbereich. Skerbisch geht davon aus, dass die reduziertest mögliche Zeichensetzung, der Punkt, bereits eine Dreidimensionalität aufweist, um diesen überhaupt mit menschlichen Sinnen wahrnehmen zu können. Die Annäherung an die ideale Form der Kugel erreicht er mittels gleich großer Ringe, die er miteinander kreuzt. „Greift man die regelmäßige Anordnung heraus, dann kann man die entstehenden Kreuzungspunkte im Fall von 3 Ringen (R3) auch als 6 Eckpunkte eines Oktaeders auffassen, die Kreuzungspunkte im Fall von 4 Ringen (R4) als die 12 Eckpunkte eines gekappten Oktaeders und die Kreuzungspunkte im Fall von 6 Ringen (R6) als die 30 Eckpunkte eines gekappten Isokaeders.“ 4) (Hartmut Skeribisch, in: HARTMUT SKERBISCH, Sfera/Sphäre/Spere, Folder zur Ausstellung in der Umetnosta Galerija Maribor, Maribor 2006) Nicht die geschlossene Form der Kugel interessierte ihn also, sondern die, aus einer inneren Ordnung sich ergebende dynamische Wechselbeziehung zwischen Innen und Außen, Volumen und Hülle sowie Tranparenz. Ihm ist klar, dass es die ideale Kugel als Ort aller Punkte, die von einem Punkt in alle Richtungen den gleichen Abstand haben, in gewachsener materieller Verkörperung nicht geben kann. Dabei denkt er an atomare und mikroskopische Formen ebenso, wie an die Welt als einen kugelförmig angenäherten Planeten, auf dem wir uns befinden. Es geht also sowohl um die skulpturale Annäherung unfassbarer Größen und gleichzeitig solcher, die den Menschen bestimmen und die der Mensch durch seine Körperlichkeit bestimmt. So hat die größte seiner Sphären auf Schloss Kalsdorf bei Ilz einen Durchmesser von 12,74 m, was einem Millionstel des Erddurchmessers entspricht. Die kleinste, 12,6 cm im Durchmesser entspricht einem Huntermillionstel des Erddurchmessers und kann von der Hand eines Menschen behutsam gehalten werden. Diese Spannbreite zeigt den Versuch der Erfassbarkeit von Wirklichkeit in präziser, narrationsloser und doch hoch ästhetischer Form. In der Arbeit Sphäre 315, ein Viermillionstel des Erddurchmessers, verschraubt Skerbisch sechs Kreise, die im Verhältnis des Goldenen Schnitts zueinander stehen und damit den Betrachter in seinem Empfinden des harmonischen Ausgleichs ebenso ansprechen, wie sie in ihrer puren Materialität und formalen Reduktion die Essenz eines Gesamten in sich vereint. Der Besucher als interaktiver Bestandteil des Werks bewegt sich hier als Gradmesser zwischen sich selbst, seiner eigenen Körperlichkeit und Größe in Relation zur Welt, in die er eingeschrieben ist und einem größeren, durchlässigen System. So können wir uns in einzelne Segmente der Kugel einsehen, versuchen, Größenverhältnisse und Entfernungen wahrzunehmen oder die sphärische Durchdringung eines als fest angedeuteten Körpers entdecken. Skerbischs plastisches Geschehen formt sich als prozessualer Vorgang in den Körpern und Sinnen der Betrachter selbst. Nicht die Skulptur in sich trägt eine Bedeutung, sondern Skerbisch strebt in puristischer Form größtmögliche Durchlässigkeit anstelle von Botschaften an. Denn „Das Offene ist offengehalten. Das Offene ist……“, was er bereits 1992 in einem durchgehenden Wandfries im Künstlerhaus Graz in Form von Sprache als Skulptur der Öffentlichkeit eröffnete. Skulptur ist bei Skerbisch ein Werkzeug, ein reales Mittel, um körperliches Erleben möglich zu machen, wodurch eine Gesprächssituation zwischen Skulptur, Betrachter und Umraum geschaffen wird. Der Sphäre 315 ist eine Eigengesetzlichkeit eingeschrieben, die „jede tiefe Bedeutung“ von Kunst als nicht existent ausweist und stattdessen Leerstellen, Öffnungen, Durchlässe zu neuem Denken anregt. Nicht Inhalte werden hier transportiert, sondern die Skulptur spricht aus ihrer Eigenkraft.

Elisabeth Fiedler

Date: 2005 Title: Sphäre 315