Skulptur nach der Konzeptkunst

Robert Fleck

 

Die Besucher der wichtigen Ausstellung „Vom Kriege“, die 1989 der Grazer Kunstverein organisierte [1], standen vor einer reichlich besonderen Situation. In einem Raum hatte Hartmut Skerbisch zwei große Skulpturen aufgestellt, die der Form von Häusern glichen und wie ein Labyrinth funktionierten, indem sie – von ihrer Stellung her ebenso wie von ihrem Ausmaß – das Absehen eines möglichen Ausgangs verstellten. Das Stahlblechmaterial der Skulpturen mit ihrer industriellen, harten Fertigung und die Reinheit der minimalistischen Formensprache ließen jeden direkten, erzählerischen Bezug zum Thema der Ausstellung vergessen, schufen aber zugleich unmittelbar plastisch begreifbare Äquivalente für ein unbegreifbares Phänomen: den Krieg, der hier durch das relative Übermaß der skulpturalen Stahlhäuser, durch ihre Stellung und durch die Erfahrungssituation insgesamt auf einer anderen, der sinnlichen, reflektierten Ebene wahrnehmbar wurde, jenseits der jedem Zeitgenossen Tag für Tag eingetrommelten Klischees. [2]

Ebenso verwundert konnte derjenige sein, der den künstlerischen Werdegang von Hartmut Skerbisch seit einem Jahrzehnt und mehr verfolgte oder immer wieder kreuzte. Skerbischs Werke waren zuvor weitgehend immaterieller Form gewesen, meist über Fotos und andere Medien vermittelt; es waren Werke, die durch visuelle Anordnungen und Texte an eine Gedankenarbeit des Betrachters appellierten oder an das geistige Nachvollziehen einer besonderen, oft ganz kleinen, aber hochpoetischen Wahrnehmungssituation. Da nun aber ging Hartmut Skerbisch mit sehr handfesten bildhauerischen Tatbeständen um. Man könnte diese Feststellung noch zuspitzen und sagen, Skerbischs Arbeit war gerade deshalb so eindrucksvoll, weil er äußerst klar und präzise mit rein skulpturalen Grundtatsachen umging, und dies auch in der Flexibilität und handwerklichen Umgänglichkeit eines Bildhauers, während er zugleich den rein gedanklichen Ausgangspunkt der Skulptur wahrte, die nichts vom händisch geformten und entwickelten Produkt eines klassischen Bildhauers an sich hatte.

Auch danach beeindruckte Skerbisch vor allem durch „Skulpturen“. Die Aluminiumscheibe, die er Anfang 1992 in das Grazer Künstlerhaus stellte, vom Boden bis zur Decke, war zum einen eine hochintelligente, formal völlig autonom bleibende Lösung für das schöne und historisch beladene Gebäude des Künstlerhauses, und verwandelte zugleich den Ort durch das „architektonische“ Übermaß der Skulptur im Verhältnis zum klassischen Gestaltbegriff in einen Raum reiner Wahrnehmung. Die Doppelstruktur „Zwei Bühnen“ für die Gruppenausstellung „Gemischtes Doppel“ in der Wiener Secession setzte im Sommer gleichen Jahres zwei skulptural hochpräzise gedachte „Schwarze Löcher“ in den lichtvollen und damit sakralen Raum der Wiener Secession. Und die Großskulptur „Lichtschwert“ (seit 1992) in Graz, die formgetreu (im Maßstab 1:1) das Trägergerüst der New Yorker Freiheitsstatue reproduziert (ursprünglich realisiert für das steirische herbst-Thema „Amerika“ zum 500. Jahrestag der Entdeckung des neuen Kontinents durch Kolumbus), aber mit dem von Franz Kafka in seinem „Amerika“-Roman erwähnten Schwert anstelle der skulptural an der New Yorker „Freiheitsstatue“ nicht stimmigen Fackel, bildet, skulptural-architektonisch betrachtet – gerade von der Fußgängerposition aus – eine der besten Großskulpturen für den zeitgenössischen Stadtraum.

Ist Hartmut Skerbisch von der Konzeptkunst weg und unter die Bildhauer gegangen?, kann man sich angesichts der neueren Arbeiten seit 1989 fragen. Anders gesagt: Wie hängen die beiden großen Abschnitte von Skerbischs Werk zusammen, das dieser Katalog erstmals zugänglich dokumentiert? Gibt es da nicht zwei Personen, die einander ablösen, den Konzeptkünstler und den bildhauerisch Denkenden? Besteht eine Verbindung zwischen den in materieller Hinsicht nur angedeuteten Arbeiten der siebziger Jahre, die den Betrachter zur Einfühlung in minimale poetische Situationen aufforderten, und den „massiven“ Arbeiten der letzten Jahre?

Diese Fragen sind in gewisser Weise rhetorisch, führen aber doch ins Zentrum dessen, worum es Hartmut Skerbisch geht. Meine persönliche Antwort wäre zweifach. Zum einen kann und sollte man sagen und dafürhalten, daß es gewissermaßen zwei Skerbisch gibt – den früheren, konzeptkünstlerischen, und den späteren, der sich in und durch eine neue Auffassung der Skulptur ausdrückt. Zumindest seit der Bilanz der gleichzeitigen Entwicklungen der modernen Kunst in den fünfziger und sechziger Jahren dieses Jahrhunderts kann man ja die alte Ansicht aus der frühen Geschichtsschreibung der Moderne, das gesamte Werk eines Künstlers wie Perlen auf einer Schnur an nur einer Entwicklungslinie aufzuhängen, nicht länger aufrechterhalten. Gerade die besten Künstler unserer Zeit machten und machen ja zwei oder mehrere verschiedene Dinge nacheinander oder auch nebeneinander, und gerade dieses Denken in mehreren Bahnen macht dann ihre Frische und die Vermeidung einer Ermüdung der bildnerischen Vorschläge in der Selbstwiederholung aus. Unter den Hauptvertretern der österreichischen Konzeptkunst steht Hartmut Skerbisch ganz besonders für diesen Mut, nicht an der eigenen Formensprache hängenzubleiben und Wege zu gehen, die zunächst niemand aus dem vorhergegangenen Werk erwartet hätte. Werke wie die „Scheibe“ des Grazer Künstlerhauses und die „Freiheitsstatue“ kommen denn auch scheinbar von nirgendwo her, ohne Vorbereitung, ohne einen formalen Wiederholungs- oder Wiedererinnerungseffekt von Seiten des gleichen Künstlers, mit einer Frische also, die an die Werke junger Künstler erinnert, aber mit einer formalen Meisterschaft und einer Beherrschung selbst monumentaler Dimensionen verbunden ist, die einen erfahrenen Künstler spüren läßt und eine lange persönliche Geschichte. Nicht zuletzt dieses sinnlich spürbare Paradox ist es, was diese neueren Arbeiten von Hartmut Skerbisch recht einzigartig dastehen läßt in der neueren Kunst.

Zugleich aber läßt sich der scheinbar so widersprüchliche Werdegang von Hartmut Skerbisch auch recht einfach beschreiben, wenn man nämlich auf die Tatsache achtet, daß es zwei recht klar unterschiedene Generationen der österreichischen Konzeptkunst gibt. Auf die Tatsache einer eigenen, spezifischen Entwicklung oder „Schule“ der Konzeptkunst in Österreich wurde schon wiederholt hingewiesen. [3] Was man aber viel zu oft übersieht ist die parallele Existenz zweier „Generationen“ in dieser österreichischen Schule der Konzeptkunst. Das Wort „Generationen“ ist hier nicht recht angebracht, da sich die Geburtsjahrgänge unterscheiden, doch stimmt die Bezeichnung, wenn man darauf achtet, wann die verschiedenen Vertreter dieser beiden Richtungen in den Ausstellungsbetrieb eintraten. Für dieses Kriterium zumindest zeichnet sich sehr deutlich eine „zweite Generation“ der österreichischen Konzeptkunst ab, der neben Hartmut Skerbisch etwa Franz West und Ernst Caramelle an führender Stelle angehören. Sie haben, obgleich Skerbisch 1969 fast zugleich mit der Pioniergeneration der österreichischen Konzeptkünstler antrat, die von der amerikanischen Concept Art und einigen autochthonen Traditionen, wie der „konzeptuellen“ Auffassung des Wiener Aktionismus bei Rudolf Schwarzkogler und dem philosophischen Erbe Ludwig Wittgensteins, losgetretene Bewegung konzeptueller Kunst schon immer sehr anders, poetisch, undidaktisch und stark an einer unmittelbaren plastischen Arbeit orientiert aufgefaßt, während sie sich zugleich – wie im Fall von Skerbisch und West, in gewissem Sinn auch Caramelle – recht abseits gegenüber dem „Konzeptkunst-Milieu“ der siebziger Jahre in Österreich hielten. Alle drei kamen denn auch von „klassischen“ bildnerischen Medien zur Konzeptkunst (Franz West von der Bildhauerei, Ernst Caramelle von der Zeichnung und Hartmut Skerbisch von der Architektur), um diese dann wieder zu „klassischen“ Medien hin zu verlassen, mit einer tiefgründigen Verwandlung dieser klassischen Medien durch die konzept- und ideenkünstlerische Praxis jedoch, die ohne die Konzeptkunst nie möglich gewesen wäre. In diesem Sinn ist es sehr aufschlußreich, die in diesem Katalog versammelten Arbeiten von Hartmut Skerbisch einmal von hinten her aufzuzäumen, von dem tief erneuerten Skulpturbegriff zurück zur Konzeptkunst. Dann nämlich zeigt sich, wie sehr schon Skerbisch‘ konzeptkünstlerische Werke – etwa die „Zwei Fahnen“ der frühen Bilanz „Europa 79 – Kunst der achtziger Jahre“ von Hans-Jürgen Müller in Stuttgart oder die Video-und Fotoinstallation „reden blattartig“ über den Brustkorb und den Atemrhythmus, ebenso wie die Sperrholzwand in Innsbruck 1900 – bereits Werke über das Volumen, den dreidimensionalen Körper und die relative Position der Wahrnehmung waren, über die Themen also, die das neuere Schaffen von Hartmut Skerbisch in eine neue, aus der Dialogstellung zum Betrachter in der Konzeptkunst gewonnene Auffassung der Bildhauerei überführt. Als einem von nur wenigen Künstlern in den letzten Jahren gelang es Hartmut Skerbsich damit, ursprüngliche Ansätze der Concept Art und der mit ihr verbundenen Körperkunst der späten sechziger Jahre auf ganz neue Weise in die Skulptur zu übertragen, und die ideenkünstlerische Dimension der Concept Art in eine präzise Arbeit über skulpturale Grundtatsachen wie das Volumen und die Dreidimensionalität zu übernehmen. Diese Ortsbestimmung der aktuellen Arbeit von Hartmut Skerbisch wäre unvollständig, würde man die tiefe innere Beziehung zur Architektur übersehen, die dieser Arbeit innewohnt. In gewissem Sinn kann man sagen, daß Werke wie die „Kriegshäuser“ von 1989 oder das „Lichtschwert“ von 1992 die Beziehung von Architektur und Skulptur – im wesentlichen durch das Bindeglied der Konzeptkunst – ganz neu fassen. Die Verbindung von Architektur und bildender Kunst und allgemeiner von angewandter und „absoluter“ Kunst ist ja überhaupt eines der großen, untergründigen Momente der österreichischen Kunst der letzten Jahrzehnte. Was Hartmut Skerbisch aber in diesem Rahmen mit seinen neueren, postkonzeptuellen Skulpturen zustande bringt, ist die Thematisierung des architektonischen Raumes (einer Ausstellungssituation oder einer stadtlandschaftlichen Situation) in den Begriffen einer – im Sinne der Konzeptkunst – auf ihre grundlegende Faktoren hin untersuchten Skulptur. Darin zeichnet sich auch die inhaltliche Grundidee der neueren Arbeiten von Hartmut Skerbisch ab: das Wiederbegreiflichmachen des heutigen Architekturraums aus einer sinnlichen Reflexion über die Begriffe „Objekt“ und „Skulptur“. Diese „ uralten“ Begriffe der Kunst erweisen sich nicht zuletzt bei Skerbisch als immer wieder neu und hochaktuell.

 

 

[1] Organisiert von Elisabeth Printschitz. Die Dokumentation dieser wichtigen Gruppenausstellung unterblieb seinerzeit durch die Zurückhaltung offizieller Stellen gegenüber diesem Thema. Eine Nachveröffentlichung ebenso wie eine Dokumentation der heute schon historischen Leistung des Grazer Kunstvereins unter der so früh verstorbenen Direktorin Elisabeth Printschitz wäre wichtige Angelegenheit für den ganzen österreichischen Kunstbetrieb.

[2] „Was ist ein Klischee?`, hat man Jean- Luc Godard gefragt. ´Das ist sehr einfach. Ich nehme einen Freischärler, gebe ihm ein Gewehr in die Hand und sage ihm er soll es emporhalten und schreien. Das Bild geht um die Welt. Was aber hat das mit einem Bürgerkrieg und einem Unabhängigkeitskampf in der Realität zu tun?` Nicht, gar nichts. Man nimmt dem Freiheitskämpfer mit diesem Klischee sogar seinen Kampf aus der Hand. Man macht ihn zum Klischee. Seit es die Kunst gibt, ist sie immer auch, und in erster Linie, ein Kampf gegen das Klischee gewesen. Jede Zeit produziert ihr Klischee, und ohne den Kampf gegen das Klischee ist die Kunst nicht zu verstehen, auch nicht die Moderne.“ Gilles Deleuze, Vorlesung über den Film, Paris VIII- Saint Denis, Mai 1982.

[3] Insel Austria, hg. v. Markus Brüderlin, Kunstforum international Nr. 89, 1987; Zur Rechtfertigung der hypothetischen Natur der Kunst und der Nicht-Identität in der Objektwelt, Köln 1992; Identität : Differenz, hg. Peter Weibel, Christa Steinle, Graz 1992; Kunst in Österreich, hg. Noemi Smolik, Robert Fleck, Köln (im Erscheinen).

Title: Skulptur nach der Konzeptkunst